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der herzerlfresser

modernes volksstück

von Ferdinand Schmalz


Interview:

Ernährung scheint Ferdinand Schmalz viel zu bedeuten. Seine Stücke heißen: am beispiel der butteroder dosenfleisch. Am Theater Lindenhof nun der herzerlfresser – das klingt ja ganz niedlich…


B Das hört sich niedlich an, ist aber eher skuril und grotesk. Denn eigentlich handelt es sich hier um einen ziemlich spannenden Krimi mit Figuren, deren Gefühle Achterbahn fahren. In dem kleinen Ort gibt es einen Bürgermeister, dessen großer Traum sich erfüllt, endlich ein Einkaufszentrum zu bekommen, . Der Bürgermeister hat aber vor lauter Arbeit vergessen, sich um sich selbst zu kümmern, er ist einsam. Die Fußpflege-Irene ist halb Mann, halb Frau, der Herbert hat eine etwas übertriebene Vorstellung von ultimativer Vereinigung zweier Herzen, der gangsterer möchte als „Ermittler“ noch einmal „ganz anders aus sich heraustreten“, und die Florentina lebt mit einem transplantierten Herzen, das „mir ganz fremd“ ist, wie sie sagt. So hat jede Figur ihre eigene Herzkrankheit, ihre Einsamkeit und ihren großen Traum vom Glück.


Der Herzerlfresser spricht von Einzellern aus Stahlbeton. Ist das eine richtige Diagnose?


B Da ist schon was dran, eine Figur im Stück verwendet das schöne Wort „Vereinzellung“, also dass Menschen „zu Einzellern werden“. Selbst in dieser scheinbar heilen Kleinstadtwelt, in der die Figuren leben, ist schon eine Verständigung schwer. Das bestimmende Phänomen ist das neu gebaute „Einkaufszenter“, das auf einem Sumpf gebaut wurde, und das Hoffnung für die Zukunft bedeutet…


…wohl auch eine Metapher für den entgrenzten und untergehenden Kapitalismus…


B Ja, das ist das Tolle an dem Stück, dass in dieser Kleinstadtkriminalgeschichte auch ganz viel Gesellschaftsanalyse zu entdecken gibt. Dabei ist es in einer sehr besonderen, aber gut zu verstehenden Kunstsprache geschrieben und die Figuren sind bei alldem auch noch sehr komisch. Es ist eine wirklich gelungene Mischung aus Ödön von Horvath und Werner Schwab.


Spannung, Liebe, Komik und gesellschaftliche Relevanz – Was kann man sich mehr wünschen?


B Eben. Deshalb spielen wir das ja auch. Es ist ein ganz tolles und besonderes Volkstheaterstück, das perfekt zum Theater Lindenhof passt!


(Interview mit dem Regisseur Christoph Biermeier am 19. Februar 2020)


Premiere am 29. Februar 2020 am Theater Lindenhof


Regie: Christoph Biermeier

Bühne und Kostüme: Claudia Rüll Calame-Rosset

Musik: Thomas Unruh

Dramaturgie: Georg Kistner


gangsterer andi: Karlheinz Schnidt

acker rudi: Gert Plankenhorn

fauna florentina. Kathrin Kestler

pfeil herbert: Cathrin Zellmer


Presse:

Der Herzerlfresser ist Groteske und Moritat, Volksstück und Zeitstück, schrille Variante absurden Theaters mit allerhand Slapstick-Komik und Travestie. Und die durchaus modischen Accessoires von Öko, Krimi, Mystery dürfen nicht fehlen. Die Mischung macht’s. Das alles, versteht sich, mit seinem Gran an Ironie. Reich an Bildern und Symbolen, Allegorien und Anspielungen steigt die Sprache von Ferdinand Schmalz mit Blankversen, Reimen und chorischen Sentenzen in geradezu klassische Theaterhöhen, stürzt aber lustvoll wieder ab in die hohle Phrasendrescherei der Gegenwart. Das alles wird in sorgsamer Licht-, Farb- und Klangregie auf sparsam-funktionaler Bühne – am Ende bricht sie zusammen – in Szene gesetzt. Die Musik wechselt mühelos vom gregorianischen Mönchston über elektronischen Sphärenklang ins Bierzelt. Man tanzt auch Cha-Cha-Cha. Vielleicht fehlt es der rasanten Revue mit ihrem ungemein dichten Text bei der Premiere noch ein wenig an Tempo und Leichtigkeit, so in Richtung Billy Wilder. Aber das kann noch kommen. (Reutlinger Generalanzeiger)


Christoph Biermeier hat seine Freude dran, die Sprachfinessen des Autors durch kleine Pausen oder Betonungen gegen den Strich hörbar werden zu lassen. Er tut auch viel um sowohl das Volksstückhafte, wie das Kunststückhafte und das Trashige zu bedienen. Und während Ferdinand Schmalz knarzend und komisch, manchmal aber auch sehr durchsichtig-allegorisch den herzlosen Verkauf des Menschen an den Markt besingt, fragt man sich kurz, ob seine Figurenwelt nicht noch verrückter, schräger, künstlicher, choreographierter angelegt gehört hätte – wo nun allerdings auch allerhand passiert: Ein blutüberströmter Metzgermeister beklagt des Dramas Pathos-Höhepunkt – das Verstummen des Menschen, wo er doch schreien müsste. Die Bühne kippt, das Eröffnungsfest tobt, padum, padum, padum, Eifersucht auch – in der Nacht der langen Messer und schnellen Pistolen. Wo derbste Komödie und packende Dramatik sich plötzlich aufs Schönste verwurschteln.  (Schwäbisches Tagblatt)


Foto: Richard Becker