Dantons Tod

Drama von Georg Büchner


1. Die Erschöpfungsmüdigkeit ist eine Müdigkeit der positiven Potenz. Sie macht unfähig, etwas zu tun. Die Müdigkeit, die inspiriert, ist eine Müdigkeit der negativen Potenz, nämlich des nicht-zu. Auch der Sabbat, der ursprünglich aufhören bedeutet, ist ein Teil des nicht-zu, ein Tag, der befreit ist von jedem um-zu, um mit Heidegger zu sprechen, von jeder Sorge. Es handelt sich um eine Zwischenzeit. Nach seiner Schöpfung erklärte Gott den siebten Tag für heilig. Heilig ist also nicht der Tag des um-zu, sondern der Tag des nicht-zu, ein Tag, an dem der Gebrauch desUnbrauchbaren möglich wäre. Er ist der Tag der Müdigkeit (Buyung-Chul Han). In diesem Sinne ist Danton kein depressiver, resignierter Ex-Revolutionär, sondern ein Verfechter einer fundamental anderen Politik. Er ist für eine “Republik der Müden”. Durchgesetzt hat er sich bekanntlich nicht.


2. Was passiert, wenn die Revolutionsschlachten geschlagen sind? Wie überführt man eine Revolution in einen funktionierenden Staat? Und wie muss der überhaupt aussehen? Wer gibt die Gesetze und welche? Wenn eine Gesellschaft zusammenbricht, dann bemächtigen sich Kräfte des Vakuums. Meist ist das Volk das Opfer und das war der Ausgangspunkt der Inszenierung. Eine Schuaspieltruppe erzählt noch einmal die Geschichte der Revoltion aus der Perspektive des (hungrigen) Volkes. Viel Zynismus ist da dabei und Wut, kein Wunder, “oben” wird Politik gemacht, die “unten” als Gewalt ankommt und nichts wird besser. Kommt einem irgendwie bekannt vor, wenn man den arabischen Frühlung ansieht oder die Ränder Europas. Ein schönes Stück, ein böses Stück, ein trauriges Stück. Ein wahres Stück.


Regie: Christoph Biermeier

Ausstattung: Ursina Zürcher

Musik: Thomas Unruh

Dramaturgie: Georg Kistner

Mit: Elmira Bahrami, Renate Regel, Miriam Schwan, Vilmar Bieri, Henning Bormann, Nils Buchholz, Ekki Busch, Gerald Michel, Jochen Neupert, Christoph Schüchner, Thomas Unruh

Premiere am 8. 6. 2013, Große Treppe vor St. Michael, Schwäbisch Hall

Fotos: Jürgen Weller / Trailer: Stephan Baraniecki


Presse:

Köpfe rollen. Das kennt man ja von der Revolution. „Doch wie geht es danach weiter“, lautet die Frage, die Christoph Biermeier an „Dantons Tod“ besonders spannend findet. Hochaktuell sei sie, etwa mit Blick auf den arabischen Frühling. Auf der Haller Treppe präsentierte der Intendant der Festspiele mit einer grob-grellen Version des Büchner-Stückes seine Auseinandersetzung mit dieser Frage. Wuchtig und mit einer gut dosierten Prise passenden Irrsinns. (…) Mit …  fast schon revue-ähnlichen Szenen, die Biermeier bewusst ins Grosteske überstrapaziert, schafft der Regisseur Luft in diesem, ach, so schweren Stück über die Diktatur der Moral und die Frage, ob Menschlichkeit noch einen Platz findet, wenn es gilt, Ideale wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit durchzusetzten. Als wollten sie selbst den Irrwitz ihres Treibens vorführen, tanzt und singt das Volk auf den Treppenstufen wie auf den Gräbern, da passt sogar eine Art Polka ins grobschlächtige Treiben. Die Marseillaise rotzt das Tribunal derart gepresst heraus, als beschimpfe es eine herumhurende Geliebte. Warum hier das Volk mit französischem Akzent spricht, irritiert zwar anfangs, stört aber nicht nachhaltig. Dass am Ende die von der Revolution schon gefressenen Kinder nochmal zusammenkommen, allerdings schon. Vielleicht ein Hoffnungsschimmer angesichts der eindeutig bitteren Erkenntnis, dass der Einzelne nur wenig vermag, wenn die Masse anderes im Sinn hat? „Das war schon mal da, das ist langweilig“ ätzt Robespierre nach gut zwei Stunden wie ein Irrer in die Menge. Auf die Inszenierung bezogen ein Irrtum. Schwäbische Post, 10.6. 2013


Fast fünf Jahre sind seit dem Sturm auf die Bastille vergangen. Tägliche Hinrichtungsspektakel im Jahr 1794 sichern die Schreckensherrschaft, es ist der Höhepunkt des “Terreur”. Auf dem Weg zur Republik hat sich die Revolution festgefahren. Von wegen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die Ideale der Revolution drehen sich in ihr Gegenteil.

Dieses Eingekeilt-Sein spiegelt sich auch in dem großartigen Bühnenbild Ursina Zürcher wider, die zudem die passenden Kostüme gestaltete: Bröckelnde Säulen, marode rote Wände mit der französischen Lilie und einem Liberté-Schriftzug, ein paar versprengte Theater-Klappstühle, und die große Trikolore hat auch schon mal bessere Tage gesehen -- ein ziemlich abgewirtschaftetes Theater tut sich da vor den Augen der Zuschauer auf der Treppe auf, ein eigenes Bild des Scheiterns großer Pläne.

In dieses Trümmerfeld hält eine Schauspieler-Truppe Einzug, die aus Büchners “Hessischem Landboten” die Geschehnisse der Revolution rekapituliert. Das Spiel im Spiel nimmt seinen Lauf. Auf den Überresten der Monarchie zeigt sich das Leid des Volkes -- Elend, Prostitution, Gewalt -- und die wachsende Feindschaft der einstigen Kampfgefährten Danton und Robespierre (…) Überhaupt zeigt sich das Ensemble auf den Stufen vor St. Michael in eindrucksvoller Spielfreude … -- allesamt in mehreren Rollen überzeugend. Flugs wechseln sie die Spielebenen, sind pöbelndes Volk, Diskutierende, spielen Instrumente oder singen. Die bohrenden Büchnerschen Fragen schwingen immer wieder mit -- warum Revolutionen so ablaufen müssen, warum der Mensch ist, wie er eben ist. Dieses Drama um geköpfte Ideale ist eigentlich nichts für nebenher, und schon gar keine leichte Kost. Doch mit der stimmigen Musik von Thomas Unruh und dem französischen Charme der Akkordeon-Klänge von Ekki Busch, kommt eine Portion Leichtigkeit ins Spiel. Biermeier setzt mit dem Shakespeareschen Wanderbühnen-Charme, den er mit seinem Ensemble entwickelt, auch auf Unterhaltung -- humorvoll, zuweilen aber auch drastisch und manches karikiert-französisiertes Näseln wirkt schlicht überflüssig.

Revue, Tragödie, Komödie, Posse, Drama, ein bisschen Commedia dellarte -- die Elemente mischen sich. Biermeier ist ein Fan dieses Wechselspiels zwischen den Genres. So entsteht ein weiter Bilderbogen, der sich dennoch auf das Zentrum der Treppe konzentriert. Und unter der riesigen, gefallenen Klinge der Guillotine träumen die Toten in Anlehnung an “Leonce und Lena” von einer Gesellschaft der Ruhe. Die Nachrichten klingen aber ganz anders. Haller Tagblatt, 10.6. 2013


Da fragt man sich dann wirklich, was soll das? Dieter Schnabel (unser Lieblingskritiker)


Fotos: Jürgen Weller