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Faust spielen

Vom Himmel durch die Welt zur Hölle?

nach Johann Wolfgang Goethe Faust I und Faust II

Für die Bühne eingerichtet von Christoph Biermeier und Georg Kistner


Der Faust: Es gibt wohl kaum ein Theaterstück, das so tiefe Spuren in den vergangenen zweihundert Jahren hinterlassen hat. Die Figur galt uns als Vorbild, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Ganz im Sinne der Aufklärung. Was aber, wenn das Streben nach Erkenntnis nie zufrieden macht, wenn der Verstand an Grenzen stößt? Was, wenn der Verstand diese Grenzen überschreiten will und dafür den Pakt mit dem Teufel eingeht? Diese Frage hat Goethe umgetrieben und fordert uns immer noch heraus. Faust, das ist ein Volksbuch, ein Steinbruch, ein Mythos. Dr. Faustus, Urfaust, Faust I, Faust II, ein ganzes Leben lang hat Goethe dieser Faust beschäftigt. Der Faustkosmos ist ein Gedankenstrom, eine Zeitreise. Er überlässt es der Nachwelt, diese Geschichte zu entschlüsseln. Die Nachwelt, das sind wir. Denken, reden, spielen. Wir  setzen uns mit Goethes Werk auseinander und konfrontieren den historischen Stoff mit den Herausforderungen von heute: #metoo, Krieg, Migration, Gentrifizierung, Trump,…

Faust neu abgemischt. Vorhang auf für einen multimedialen Szenenreigen


Regie: Christoph Biermeier

Bühne & Kostüme: Claudia Rüll Calame-Rosset

Musik & Musikalische Leitung: Thomas Unruh

Dramaturgie: Georg Kistner


Mit:

Linda Schlepps

Stefan Hallmayer

Gert Plankenhorn


Premiere: 1.3.2019 am Theater Lindenhof, Melchingen


Presse:

“In Melchingen wird Faust versucht, Faust überprüft, mit Faust gespielt, Faust verdammt (ernst genommen), Faust veralbert, Faust kritisiert, Faust gesucht und dabei manchmal etwas gefunden, was unserer heutigen Welt sehr ähnlich sieht (…) Faust will nicht mehr in Worten kramen. Als er das sagt, kichern die beiden anderen, als hätte er gesagt: “Und will nicht mehr an Worten grapschen.” Das führt schon zum ersten Schwerpunkt des Stücks. Die drei Schauspieler wollen die Kerkerszene proben.Aber die Schauspielerin weigert sich als Gretchen vor Faust im Staub zu kriechen. #MeToo drängt mächtig herein, Herr Faustwedel wartet mit Bademantel im Hotelzimmer, Einzelprobe, kein Text, dafür Massageöl: “Du willst es doch auch!”

Später, vor dem Tribunal, wird Faust allerdings freigesprochen – er ist systemrelevant für die deutsche Klassik, für Systemrelevantes gibts bekanntlich einen Rettungsschirm. Es hilft auch nichts, dass die Schauspielerin zur Erhärtung ihres Vorwurfs in einem Rollentausch Fausts Part übernimmt  und zeigt, wie Faustend lieblich-schwärmerische Worte auch zu verstehen sein könnten. Das ganze herrische Potential ein herausgehörter? unterstellter? Subtext, herrlich freigelegt: Linda Schlepps. In toller Spiellaune. (…) Doch: Es gibt Dialoge, zum Wegschmeißen lustig. Regisseur: Christoph Biermeier. Zur besseren Kenntlichkeit wird die Armungeleitszene in kontrastierender Stummfilmästhetik hinterherhergereicht. Szenenapplaus (…) Ein tolles Bühnenbild zwischen archaisch und modern, musikalische Jetztzeitanklänge und viele Verweise darauf, wo der Fauststoff heute zu suchen sein könnte. Christoph Biermeiers Team will es wissen – eine sehr faustische Eigenschaft. Ihr “Faust spielen” ist Erfindung, gespielte Probe, Zitatenbruch, Klamauk und bitterböse Satire. Sehr texttreu, aber stets eigenen Text hinzustellend. Der Goethe, denkt man sich am Ende hat verdammt viel gesehen, was uns heute noch zu schaffen macht (…) .”  Schwäbisches Tagblatt, 6.3. 2019


“Regisseur Christoph Biermeier und seine Darsteller Linda Schlepps, Gerd Plankenhorn und Stefan Hallmayer nähern sich Goethes zentralem Werk mit radikal heutigen Mitteln als Menschen, die ihre Rollen, die sie spielen, hin und wieder auch tauschen und hinterfragen an. Zur Besonderheit von Biermeiers Inszenierung und Georg Kistners dramaturgischem Konzept gehört es, dass im Spiel der Darsteller – wie in einer offenen Laborsituation – alles möglich ist. Da werden Szenen variiert, wiederholt und verworfen. Da werfen sich die Akteure Textstellen um die Ohren, die für oder gegen etwas sprechen. Da wird im Stil rechtsradikaler Bands musikalisch gepoltert (in Auerbachs Keller) Oder Heinz alias Faust, der im Stil Harvey Weinsteins Gretchen im Bademantel empfangen hat, gibt sich selbst singend mit den Worten „I Did It My Way“ die Absolution. Viel hat Biermeier in den Theaterabend hineingepackt, wie die Flüchtlinge, die vor Europas Küsten im Meer ertrinken. Es ist aber auch immer wieder erstaunlich, wie viel in „Faust“ über Dinge, die uns heute beschäftigen, drin steckt. Die Schauspieler geben den ganzen Abend lang alles, immer bereit, vom Jetzt in den Originaltext und seine Empfindungen abzutauchen, um im nächsten Moment die vorgefundene Situation zu konterkarieren oder auch hemmungslos gegen den Strich zu bürsten.” Reutlinger General Anzeiger, 3.1.2019


Fotos: Richard Becker